Der junge Bruce Wainwright ist ein riesiger Comic-Fan und verschlingt von Morgens bis Abends die bunten Hefte. Seine liebste Hauptfigur ist der geheimnisvolle Detektiv Batman. Er ist fasziniert von seinem kostümierten Namensvetter und der Art und Weise, wie dieser tagtäglich das Verbrechen bekämpft. Er liebt die Geschichten so sehr, dass er sein eigenes Leben zurechtbiegt, um der Fiktion so nah wie möglich zu kommen. So macht er gerne beim Nennen seines Nachnamens nach dem „Wain“ eine kurz hörbare Pause oder benennt seinen Onkel „Alton Frederik“ kurzerhand in „Alfred“ um. Als dann seine Eltern in seinem Beisein erschossen werden, fällt der Junge in eine tiefe Depression. Wenn es seinen Comic-Helden nur geben würde, der hätte sie bestimmt retten können.
Auch wenn die Inhaltsangabe es suggerieren könnte, „Batman: Kreatur der Nacht“ ist keine alternative Herkunftsgeschichte des Mitternachtsdetektiven. Hierin findet sich nicht mal ein klassisches Superhelden-Abenteuer. Vielmehr erarbeitet Autor Kurt Busiek einen Teil der Idee hinter „Bruce Wayne“, während er eine spannende Geschichte erzählt. Was macht den Capeträger aus, wie formt man einen so düsteren Protagonisten und welchen Preis müsste man dafür bezahlen, in der realen Welt ein solcher Held zu sein? Auch hinterfragt er die Folgen für ein Kind, vor dessen Augen lieb gewonnene Menschen ermordet werden. Introvertiertes, depressives, selbstzerstörerisches Verhalten und Verfolgungswahn stehen oft im Mittelpunkt der Handlung und werden Stück für Stück dekonstruiert.
Zeichner John Paul Leon arbeitet mit starken Outlines und vielen Schatten. Dadurch fängt er in seinen Bildern die unheimliche, bedrohliche und häufig bedrückende Atmosphäre hervorragend ein. Auch spielt er viel mit dem Wechsel von detaillierten, großflächigen Zeichnungen hin zu reduzierten Schattenspielen. Das sieht nicht nur großartig aus, sondern hebt sich angenehm von den sonst üblicherweise fotorealistischen Stilen der Mainstream-Comics ab.
Mit „Batman: Kreatur der Nacht“ bekommt man einen abgeschlossenen Einzelband, der sich im Kern mit einigen Aspekten des dunklen Ritters beschäftigt, dafür aber komplett neue Wege beschreitet. Wer die Figur immer mal aus einem andern Blickwinkel betrachten wollte, hat hier die Chance dazu. Wer aber auf der Suche nach einer klassischen, actiongeladenen Fledermaus-Story ist, sollte lieber auf das sehr reichhaltige Angebot an Büchern zurückgreifen.
BATMAN: Kreatur der Nacht, Autor: Kurt Busiek, Künstler: John Paul Leon, 220 Seiten, Softcover, 23,00 Euro, Erschienen bei PANINI