Eine neue Eiszeit hat unsere Erde mit einer dichten Schneedecke überzogen. Die Suche nach Lebensmitteln und Treibstoff gestaltet sich zunehmend schwieriger. In einer so ausweglosen Situation ist man froh über jeden anderen Menschen, woraus sich die ungewöhnliche Freundschaft zwischen dem mürrischen Scully und der quirligen Wynn ergibt. Begleitet von ihrem zahmen Dachs bahnen sich die beiden ihren Weg durch das ewige Eis, immer auf der Suche nach Nahrung, einem wärmeren, besseren Ort und nach Wynns verschollenen Eltern. Als die beiden auf den grünen Gebirgshang „El Nina“ stoßen atmet die allen Widrigkeiten zum Trotz lebensfrohe Wynn auf und glaubt sich am Ziel ihrer Suche nach einer Zuflucht. Aber der skeptische Scully wittert schnell, dass die Freundlichkeit der Bewohner des vermeintlichen Paradieses ihren Preis hat…
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Ich bin ziemlich uninformiert und unbefangen an die „Winterwelt“ herangetreten und habe die ursprüngliche Graphic Novel im Vorfeld nicht gelesen. Das hat dazu geführt, dass ich hinter einer amerikanischen Endzeitstory mit diesem Titel nicht mehr und nicht weniger als eine ruppige „Mad Max“-Variante im Schnee erwartet habe. Aber die einfühlsame Interaktion zwischen Dixons Protagonisten und die groben, aber sehr stilechten und stimmungsvollen Bilder von Künstler Butch Guice haben mich eines besseren belehrt.
Obwohl „Winterwelt“ natürlich mit ganz klassischen Endzeitmotiven wie neu entstandenen, sektenartigen Kulten arbeitet versprüht der Band einen überraschend warmen, melancholischen Charme. Das bedeutet nicht, dass man gänzlich auf Action oder dramatische Höhepunkte verzichten müsste. Nur erwartet den Leser hier nicht die extrem direkte Härte eines „Walking Dead“ oder der ungeschminkte Blick auf die Abgründe der menschlichen Seele wie in Remenders „Low“.
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„La Nina“ zeigt den Kampf um das Überleben am Ende der Menschheit auf eine neue und sehr frische Art und Weise, die sich nicht über schockierende Brutalität oder sonstige, moralische Grenzübertretungen definiert. Ich fiebere mit Wynn und Scully, weil ihre Charaktere bereits nach wenigen Seiten sehr ausdefiniert und greifbar sind. Weil ich gezeigt bekomme, an welch einfachen Dingen sie sich erfreuen und eher selten, was ihnen fehlt. Eine ganz bezeichnende Szene, gleich am Anfang des Buches, war für mich wie die beiden ein verlassenes Schiff finden. Scully kann nur ein einziges Buch mitnehmen, damit genug Platz für Proviant bleibt. Diese Situation hätte Dixon genretypisch dramatisch und desillusionierend schildern können, um die Tragik der Situation zu betonen. Stattdessen freut sich die junge Frau auf eine ganz ansteckende Art und Weise über ihren Fund. Diese Konzentration auf die Hoffnung, diese Freude über für mich ganz selbstverständliche Dinge zeichnet „Winterwelt“ aus und erschafft so eine völlig neue Perspektive auf das sonst sehr festgefahrene Endzeit-Segment der Comicliteratur.
Der zweite Band der vielversprechenden Reihe ist seit Anfang dieser Woche bei Cross Cult erhältlich.
- Winterwelt Bd.1 – La Nina
- Autor – Chuck Dixon
- Künstler – Butch Guice
- 120 Seiten
- Hardcover
- 16,00 €
- Erhältlich bei Cross Cult