Wer kennt es nicht: Schlechtes Essen in Gesundheitseinrichtungen. In einem Pflegeheim in Altenburg hat eine Gruppe von Senior*innen es satt und startet einen Protest gegen den furchtbaren Fraß. Sie beschweren sich, organisieren Sit-ins, verweigern Mahlzeiten und streiken, bis es letztlich zu Ausschreitungen kommt. Diese Nachrichtenmeldung erreicht das Wohnzimmer einer Wohnung in Altenburg und entfacht eine lebendige Diskussion unter den Anwesenden. Eine Jugendliche, ein älterer Mann und eine Frau diskutieren im Folgenden diese Fragen: Wie funktioniert politische Macht? Ist gewaltloser Widerstand erfolgreicher als gewalttätiger? Wenn gewaltloser Widerstand effektiver ist, wie soll man ihn umsetzen? Mit spontanen Massenbewegungen oder mit organisierten Gruppierungen?
Lea Loos erzählt die Geschichte der drei unterschiedlichen Parteien in neun Kapiteln auf 149 Seiten. Das Szenario bildet den Aufhänger einer Debatte, die mit dem Einsatz von Gewalt zur Erreichung politischer Ziele beginnt. Die Frau fühlt mit den Heimbewohnern mit und ist der Meinung, man müsse der Heimleitung die Hölle heiß machen. Der Mann hält dagegen und weist darauf hin, dass man sich mit Gewalt bloß strafbar mache und diese bekanntlich keine Lösung sei. Die Jugendliche moderiert intelligent zwischen beiden Positionen und führt Beispiele aus der Geschichte gewaltlosen Widerstands von der Unabhängigkeitsbewegung Indiens mit Mahatma Ghandi, dem Busboykott mit Rosa Parks und der Bürgerrechtsbewegung mit Martin Luther King auf. Ohne Heldenverehrung und eine zu starke Versteifung auf Schlüsselfiguren der politischen Bewegungsgeschichte zeigt das junge und engagierte Mädchen wie wichtig strategisches Vorgehen bei der Planung von Widerstand ist. Die historischen Persönlichkeiten werden von den beiden Erwachsenen auf ihren Smartphones überprüft und über eine Info-Website namens „Who Who“ vorgestellt, die Wikipedia zum Verwechseln ähnlich sieht. Im Gespräch werden Forschungsergebnisse integriert, indem die Wissenschaftler*innen selbst persönlich im Wohnzimmer des Geschehens stehen und ihre Positionen diskutieren. So kommen bei der Frage nach der besten Art der Organisation Saul Alinsky und Frances Fox Piven zu Wort und streiten sich, ob eher organisierte Gruppen für langfristige Projekte oder spontan zusammengefundene Massenbewegungen mit Big Bang Momenten zu politischen Erfolgen führen. Loos nutzt hier ein ulkiges Stilmittel, welches wie in einer Sitcom daherkommt. Die Forscher*innen klingeln nämlich zu zufällig passenden Diskussionsmomenten, weil sie eigentlich in die Nähe zum Kongress über politischen Protest wollen und sich an der Tür geirrt haben. Nun erläutern sie ihre Thesen Erkenntnisse. Die Bandbreite der Möglichkeiten von z.B. Kunstaktionen, Theater, Satire, Konzerte über Boykottaktionen wie Verbraucherboykotts, Verweigerungen der Zusammenarbeit auf dem Arbeitsplatz bis hin zu Interventionen der ride-ins wie bei den Rassentrennungen in den USA erweitern so nicht nur die Horizonte der Diskutierenden im Wohnzimmer, sondern auch der Leser*innen.
Lea Loos hat das Buch als ihre Abschlussarbeit geschrieben und gezeichnet. Es ist im Avant Verlag erschienen. Die Zeichnungen sind reduziert auf flächige Farben und einfache geometrische Formen. Die Figuren lassen sich mit reduzierten 2-D Zeichentricksereien wie „South Park“ oder „American Dad“ vergleichen. Nachdem Sie Grafik und Buchkunst an der Hochschule in Leipzig studiert hat, schafft Lea Loos mit ihrem Debüt einen unterhaltsamen Sachcomic. Ohne historischen Personenkult und mit gutem Gespür für Dialoge gelingt es ihr bei Leser*innen die Lust zu kreativem Engagement auszulösen. Das Buch bietet jedem Einzelnen die Möglichkeit, individuell passende Möglichkeiten für Gewaltlosen Widerstand zu finden. Es zeigt, dass friedliche Formen von Widerstand deutlich erfolgreicher sind und sowohl in alltäglichen Dingen als auch bei großen politischen Fragen eingesetzt werden können. Es zeigt auch, dass nicht nur die Formen erfolgreich sind, wenn sie vielfältig sind, sondern auch, dass Gruppen dann erfolgreicher sind, wenn sie vielfältig sind. Vom Hungerstreik, Produktboykott bis hin zur Klimakrise und zum Sturz von Diktatoren. Gerade der letzte Punkt macht die Graphic Novel zum idealen Einstieg in die politische Bildung für Jugendliche, die Möglichkeiten suchen, aktiv zu werden und gegen Missstände zu protestieren. Zudem ist sie eine Inspirationsquelle für Aktivist*innen, um die passende Aktion für ihre Anliegen zu finden.
WIDERSTAND IST ZWECKLOS – NEIN!, Autorin & Künstlerin: Lea Loos, 154 Seiten, Softcover, 16,00 Euro, Erschienen im AVANT VERLAG