In einer tristen, postapokalyptischen Welt lebt ein sehr grobschlächtiger und nicht besonders cleverer Mutant. Nur seiner beachtlichen Muskulatur hat der stumpfe Hüne es zu verdanken, dass er bislang keinen verschlagenen Wegelagerern oder verstrahlten Riesenmonstern zum Opfer gefallen ist. Lang lebt er von einer kläglichen Mahlzeit zur nächsten, bevor er sich in eine üppige Dame verliebt. Da er sich nichts sehnlicher wünscht, als die innige, romantische Vereinigung mit seiner Angebeteten, geht er für sie buchstäblich durch die Hölle. Denn kurz nach ihrem ersten Zusammentreffen gerät die Schöne in die Gewalt finsterer Zeitgenossen…
Comics aus der „Metal Hurlant“-Ära sind Relikte aus einer Zeit mit anderen Wertevorstellungen. Nach mehr als dreißig Jahren wäre es ja auch traurig, wenn die Menschheit da komplett auf der Stelle getreten hätte. Das macht es manchmal schwierig, die große kreative Schaffenskraft, die sich hinter vielen dieser oft plakativ blutrünstigen und sexistischen Stories verbirgt auch heute noch entsprechend zu würdigen. Diese zum Leben erwachten Plattencover, diese He-Man-Stories für große Jungs verfügen aber allem Kopfschütteln zum Trotz über einen nostalgischen Charme, dem man sich zumindest im stillen Kämmerlein nicht immer der Vernunft zur Liebe verschließen möchte.
Das großartige an der „Mutantenwelt“ ist, dass sie wie sonst im Subgenre üblich nicht nur aus Eiern besteht, sondern auch aus viel Herz. Aller Brutalität, Hoffnungslosigkeit und menschlichen Abgründigkeit zum Trotz ist es eine groteske Ode an Liebe und Anstand, ohne dabei auf die rohe Kompromisslosigkeit zu verzichten, die man von einer echten „Heavy Metal“-Story erwarten würde. Richard Corbens unnachahmliche, plastische Kreaturen versprühen hier einen so warmen, drolligen Charme wie in kaum einer zweiten seiner abstoßend-sympathischen Schauergeschichten.
Auch wenn die ebenfalls im Band enthaltene Fortsetzung nicht annähernd mit der großartigen Symbolkraft und perfekten Gestaltung der Ausgangsgeschichte mithalten kann, ist sie eine unterhaltsame und immernoch ausgesprochen hübsche Ergänzung in einem Buch, dass die ultimative, gemeinsam mit Corbens Tochter neu restaurierte und kolorierte Fassung des für manche Fans gar wichtigsten Teils seines Werks darstellt. Bewunderer des greifen hier ohnehin zu, ohne auch nur kurz darüber nachzudenken. Wer sich visuell bereits von dem Ausnahmekünstler angesprochen fühlte und nach einem (verhältnismäßig) leicht zugänglichem Einstieg gefunden hat, braucht ebenfalls nicht länger suchen. Ein buntes, wildes und extrem Eigenständiges Endzeitabenteuer, dass beinahe völlig ohne den toxischen Männlichkeitspathos der Ära auskommt. Großartig.
MUTANTENWELT & SOHN DER MUTANTENWELT, Autor: Jan Strnad, Künstler: Richard Corben, 160 Seiten, Hardcover, 35,00 Euro, Erschienen im SPLITTER VERLAG