Low Bd.1 – Stadt ohne Hoffnung

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Den hellen und bunten Noir-Thriller „Last Days of American Crime“, die letzte Zusammenarbeit zwischen Autor Rick Remender und Künstler Greg Tocchini, habe ich bereits auf DeinAntiHeld.de rezensiert. Obwohl auch dieser Titel mir schon zu gefallen wusste konnte ich nach der Lektüre noch nicht erahnen, zu welcher außerordentlichen Form das Duo noch auflaufen würde.

Die Zukunft ist aussichtslos. Die Sonne wird in einem riesigen Feuerball verglühen und dabei die Erde samt all ihrer Bewohner verschlingen, soviel ist gewiss. Mit der immer näher rückenden Katastrophe zieht die Menschheit sich auf den Grund des Meeres zurück, um der immer zerstörerischen Strahlung zu entfliehen. In einigen wenigen „Kuppelstädten“ bilden sie dort die letzten Bastionen. Jedoch nicht ohne zuvor Raumsonden zu entsenden, die neue, bewohnbare Welten entdecken sollen. Jahrtausende vergehen, ohne jede Gewissheit. Keine der Sonden kehrte je zur Erde zurück, aber auch von der Apokalypse blieb die Menschheit bislang verschont. In ihrer Kuppelstadt ist die Familie Caine seit vielen Generationen verantwortlich für die Funktion der „Hüter“. Diese Piloten gewaltiger, bewaffneter Taucheranzüge verteidigen ihre Heimatstadt vor mutierten Meeresbewohnern und degenerierten Tiefseepiraten.

Gleich beim ersten gemeinsamen Ausflug der Familie in das offene Meer wird ihr U-Boot von diesem abscheulichen Halsabschneidern überfallen. Sie töten den Vater, nehmen beide Töchter und den kostbaren Anzug mit sich und lassen Mutter Stel mitsamt ihrem traumatisierten Sohn Marik zurück. Trotz allem Leid und aller Ausweglosigkeit bewahrt die schöne Stel sich in den folgenden Jahren ihren unverbesserlichen Optimismus und ihren Glauben an das Gute im Menschen. Ganz anders ergeht es jedoch Marik, der jede Perspektive verloren hat und sich in Drogen und gekauften Sex flüchtet. Als scheinbar nach einer Ewigkeit eine der verloren geglaubten Sonden auf die Erde zurückkehrt, entschließt sich Stel ihren Sohn mit auf die ungewisse Reise in eine bessere Zukunft zu nehmen…

Insbesondere durch das extrem persönliche Vorwort von Autor Rick Remender erreicht „Low“ ungeahnte emotionale Tiefen. Hauptprotagonistin Stel symbolisiert unantastbare Hoffnung, einen Optimismus der sich durch keinen noch so bitteren Schicksalsschlag bezwingen lässt. Wie ein heller Lichtstrahl bahnt sich die Heldin ihrem Weg durch dunkles, trübes Wasser. Im Kontext der selbsttherapeutischen Entstehung von „Low“ gewinnt die Geschichte dabei enorm an Tiefe und Tragweite. Aber auch ohne diese zusätzliche Dimension wird spannend erzählte Unterwasser-Endzeitaction geboten, die nicht durch überraschende Wendungen, sondern vor allem durch die unglaublich dichte Atmosphäre punktet.

Die feindselige, trostlose Tiefseewelt erstrahlt dank des ausladenden, expressionistischen Stils von Greg Tocchini in bizarrer Schönheit. Als Betrachter dieser Bildwelten ist man immer wieder zerrissen zwischen Bewunderung für den wilden Reichtum an Details und der Frustration über die eigene Unfähigkeit das Szenario klar zu erfassen. „Low“ ist wie ein abstraktes, wirres Mosaik, das aus der Distanz beeindruckend schön ist, in unmittelbarer Nähe oft aber sehr chaotisch wirkt. Für mich persönlich hat dieses Chaos viel Charme versprüht und die deprimierende Dystopie in ein schillerndes, psychedelisches Gewand gekleidet. Man muss aber kein Kunstbanause sein, um sich visuell verloren zu fühlen und dabei manchmal der Handlung nur mit Mühe folgen zu können.

Für mich ist „Low“ eine der ganz großen Überraschungen des Comicjahres 2015. Während ich mich beim ursprünglichen US-Release visuell noch sehr wenig angesprochen fühlte, bin ich durch die Ankündigung des Splitter-Verlages erneut auf den Titel aufmerksam geworden. Auch bei der Erweiterung der geführten US-Comics beweisen die Bielefelder erneut beeindruckende Stilsicherheit in der Auswahl von Titeln, die ein optimales Verhältnis von Anspruch und Unterhaltung bieten. „Low“ ist „Mad Max“ auf dem Meeresboden. Grell, bizarr und desillusionierend, dabei aber deutlich emotionaler und tiefer. Arielle auf Acid, mehr davon!

  • Autor – Rick Remender
  • Zeichner – Greg Tocchini
  • Übersetzer – Bernd Kronsbein
  • Einband – Hardcover (Bookformat)
  • Seiten – 176
  • Band – 1 von X
  • ISBN 978-3-95839-098-0
  • Erschienen am – 01.10.2015

Rezensionsmuster – Hardcover, zur Verfügung gestellt von Splitter – Herzlichen Dank!