Die NETFLIX-Serien aus dem Marvel-Universum sind völlig zurecht ein gigantischer Erfolg für den Video-On-Demand-Anbieter. Die im Rahmen der Möglickeiten deutlich realistischere und düstere Präsentation des Heldenuniversums konnte sich im Laufschritt eine große Fangemeinde weit über die Grenzen der Comicleserschaft hinaus sichern. Nach dem gefeierten Einstand mit „Daredevil“ konnte die noch wesentlich stärker Noir-orientierte Nachfolgerin „Jessica Jones“ sich nicht auf eine so gewaltige Popularität oder einen Kinofilm berufen, wie zuvor der blinde Anwalt Matt Murdock.
Stattdessen setzt die von „Breaking Bad“-Star Krysten Ritter verkörperte Detektivin auf die gleichenden Tugenden, wie die nun endlich erstmals auf deutsch vorliegende Comic-Reihe von Brian Michael Bendis. Nachdem sie einige Jahre zuvor als „Jewel“ zumindest kurzzeitig echte Superhelden-Luft schnuppern durfte, hat die wortkarge und trinkfeste Ermittlerin schnell feststellen können, dass sie sich im Rampenlicht nicht sonderlich wohl fühlt. Stattdessen wühlt sie lieber im Dreck der verkommenen Menschen um sie herum, betrinkt sich und flucht wie ein Rohrspatz. Jessicas innere Monologe finden in keiner schillernden Festung der Einsamkeit statt. Sie denkt stattdessen lieber auf dem stillen Örtchen über den Sinn und Unsinn des Lebens nach. Solche Momente bieten dem Leser der im Original schlicht „Alias“ betitelten Serie ungewohnt realistische, dreckige und alltägliche Einblick in die sonst so farbenfrohe und überdimensionierte Welt der Superhelden.
Mit einer zweckmäßigen, schmalen Farbpalette, grobem Strich und massenweise nicht jugendfreien Wortwechseln bietet der erste von zwei „Jessica Jones“-Megabänden einen dieser wenigen Lichtblicke im leider immer wieder stereotypen Heldencomic-Einerlei. Denn auch wenn zahlreiche, altbekannte Gesichter sich ein gelegentliches Stelldichein im verrauchten Crime-Drama geben, stehen hier menschliche, authentische Charaktere im Vordergrund, keine effektgewaltigen Schlachten kosmischen Ausmaßes. Das macht die Reihe zu einem unverzichtbaren Sammelobjekt für jeden Heldenleser auf der Suche nach künstlerischer Abwechslung und selbstverständlich auch für die zahlreichen Fans der exzellenten TV-Serie.
JESSICA JONES Megaband: Alias (Bd.1)
Autor: Brian Michael Bendis
Künstler: Michael Gaydos, Mark Bagley
356 Seiten
Softcover
30,00€
Erhältlich bei Panini