Egal ob die TV-Serie „Once Upon A Time“, die irrsinnig erfolgreiche Comicreihe „Fables“ oder ob die zahlreichen Real-Neuverfilmungen klassischer Disney-Trickfilme – Märchen erleben kulturell im Moment eine große Renaissance. Besonders beliebt sind sowohl bei den beiden Erstgenannten als auch Beispielsweise bei Splitters „Tinkerbell im Wunderland“ sogenannte „Crossover“, also das Aufeinandertreffen von Figuren aus unterschiedlichen Erzählungen. Obwohl auch das bildhübsche „Fairy Quest“ diesen populären Weg einschlägt beweist es Gleichzeitig auch viel Eigenständigkeit und Witz. Deshalb ist es völlig zurecht der neue „Comic des Monats“.
Rotkäppchen will nicht mehr nach den Regeln spielen. In geheimen, nächtlichen Sitzungen trifft sie sich mit anderen Bewohnern der Märchenwelt, die es satt haben, den strikten Anweisungen des finsteren Herrn Grimm Folge zu leisten. Der schlecht gelaunte kleine Kerl verlangt von allen Fabelwesen und ihren menschlichen Mitstreitern nur eins – Bedingungslosen Gehorsam. Jede Geschichte folgt einem festen Drehbuch und wer seine Rolle nicht erwartungsgemäß erfüllt, der macht schon bald Bekanntschaft mit dem furchtbaren „Gedankenradierer“. Das tapfere kleine Mädchen mit dem roten Cape will nicht länger mit ansehen, wie Ihr bester Freund – der eigentlich Lammfromme Wolf „Herr Wuff“ ein trauriges und einsames Leben führen muss. Deshalb beschließt sie gemeinsam mit dem gar nicht so bösen Wolf ihrem Zuhause und der kalten Herrschaft des Herrn Grimm zu entfliehen…
Ich muss offen zugeben, dass ich meine inhaltlichen Erwartungen an „Fairy Quest“ ziemlich niedrig gesteckt hatte. Das liegt nicht am überaus profilierten Autor Paul Jenkins, der seine Karriere in den Mirage Studios mit den Ninja Turtles in den Achtzigern begann und seitdem bereits neben Hellblazer und Batman auch erfolgreich für unzählige, große Marvel-Reihen geschrieben hat. Vielmehr bin ich trotz oder gerade wegen meiner persönlichen Begeisterung für Märchen und folkloristische Sagen ziemlich satt was die unkreative, moderne Crossover-Verwurstung dieses eigentlich so großartigen Themas angeht.
Trotz all dieser Skepsis hat mich Jenkins extrem überrascht. Mit einem flammenden Plädoyer für den Wunsch danach, aus gewohnten Erzählmustern auszubrechen und den Leser völlig entgegen seinen Erwartungen zu überraschen und mitzureißen. Vor dem Hintergrund dass Jenkins und der begnadete Künstler Humberto Ramos (vor allem bekannt für seine Arbeit an Spider-Man) „Fairy Quest“ in Eigenregie als Kickstarterkampagne veröffentlichten regt zum Nachdenken an. Und legt die Vermutung nah, dass man sich mit den Abenteuern von Wuff und Rotkäppchen auch einmal ganz bewusst aus dem engen, kreativen Korsett befreien wollte, dass die Superheldencomics der großen Verlage dem Kreativteam vermutlich das eine oder andere Mal auferlegten.
Ausschlaggebend für mich „Fairy Quest“ eine Chance zu geben war, dass Humberto Ramos einer meiner unangefochtenen Lieblingszeichner ist. Trotz des vordergründig niedlich und freundlich wirkenden Cartoonstils des Mexikaners habe ich Comics aus seiner Feder immer als emotional sehr intensiv empfunden. Mit seiner furchteinflößenden Version von Spider-Man-Bösewicht „Venom“ und auch mit seiner wirklich verstörenden Version von Captain Hook in „Fairy Quest“ beweist er, dass sein Spektrum sich längst nicht nur auf fröhliche und bunte Szenarien beschränkt.
Die bunten und fröhlichen Bilder sind nur das Bühnenbild des etwas anderen Märchens. Zur echten Höchstform läuft die Handlung immer dann auf, wenn ein Blick in den Abgrund gewagt wird. Ein Blick auf die ergreifende Geschichte des einsamen Wolfes oder in den finsteren Kerker von Pans ewigen Widersacher.
„Fairy Quest Bd.1 – Gesetzlose“ ist optisch makellos. Zusätzlich zu Humberto Ramos lebendigen, dynamischen und überraschend gefühlvollen Bildern hat das Tokyopop-Sublabel „Popcom“ wirklich alles gegeben, sein neues Familienmitglied in ein beeindruckendes Festtagsgewand zu kleiden. Das großformatige, hochwertige Hardcover lässt das Sammlerherz mit einer Glanzlackakzenten auf dem Umschlag und künstlich vergilbten Seiten höher schlagen. Und das ganze für nur 14,00€ – Respekt, Popcom!
Das einzige Manko des Ausnahmetitels ist das viel zu schnelle und offene Ende. Glücklicherweise verlief die Finanzierung des zweiten Bandes auf Kickstarter erneut sehr erfolgreich. Bleibt zu hoffen, dass die deutschen Leser Popcom genug Anlass geben „Fairy Quest – Outlaws“ auf die gleiche, großartige Weise in deutsche Regale zu zaubern, wie es nun mit dem ersten Band passiert ist.
- Fairy Quest Bd.1 – Gesetzlose
- Autor – Paul Jenkins
- Zeichner – Humberto Ramos
- 64 Seiten
- Hardcover
- 14,00€
- Erhältlich bei Popcom