Es gibt Menschen, die assoziieren Comics nur mit Superheldengeschichten. Wesen, die mit übernatürlichen Kräften für die Schwachen einstehen, für die Freiheit und Gerechtigkeit kämpfen. Mit „Beate und Serge Klarsfeld: Die Nazijäger“ aus dem Hause Carlsen liegt uns die Geschichte einer wahren Superheldin, die mit ihrem Mann Serge Geschichte schrieb, vor. Ganz ohne übernatürliche Kräfte. Aber mit Verstand, Mut und dem Willen das historische Unrecht in der Gegenwart zu bekämpfen. Ein Kampf für Erinnerung und historische Gerechtigkeit, in dem es darum geht für die Rechte der Opfer des NS-Regimes einzustehen, die Täter in der Gegenwart zur Rechenschaft zu ziehen und deren Identität und Taten aufzudecken.
Das Coverbild des Hardcover Bandes spricht bereits Bände. Beate und Serge Klarsfeld stehen, sich an den Händen haltend, Rücken an Rücken.Sie ruft durch ein Megaphon und gibt den Opfern des Holocaust eine Stimme. Serge Klarsfeld hält ihre Waffe in der Hand: Das Gesetz.
Beginnend mit der berühmten Ohrfeige Klarsfelds gegen den damaligen Kanzler der jungen Bundesrepublik 1968 Kurt Georg Kiesinger, folgen wir in krimiartiger Manier Beate und Serge Klarsfeld auf der Jagd nach Klaus Barbi, dem „Schlächter von Lyon“. Von einer ersten Spur in München bis zum Gerichtsprozess in Lyon, bei dem Barbi gegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt wurde, erzählt Autor Pascar Bresson zusammen mit Zeichner Sylvain Dorange eine sowohl packende, dramaturgisch dichte Erzählung als auch ein feinfühliges biographisches Abenteuer der Zivilcourage. Die Herausforderung der beiden besteht darin eine Vielzahl von Gerichtsprozessen und Verfolgungen von Naziverbrechern an vielen Orten der Welt auf 198 Seiten zu erzählen.
Eine Deutsche und ein Jude treffen sich in Frankreich, verlieben sich und entschließen sich die Nazis, die ihre Vergangenheit am liebsten verbergen wollen, zu „jagen“. Diese Jagd bedeutet ein Mahnmal für uns alle. Jagd heißt nicht nur gewaltsam Vorgehen gegen die Gräueltaten jener, die versuchen unterzutauchen, sondern die Taten der menschenverachtende Täter aufzudecken, zu erinnern, zu zeigen, dass ihre Taten nicht unvergessen und ungestraft bleiben. Dies setzten sich Beate und Serge Klarsfeld zum Ziel. Beate, ein deutsches Au-pair in Frankreich, ist empört über die Nazis, die in Amt und Würden einfach weiter regieren können, lernt Serge kennen und dazu die Geschichte seiner Familie. Die emotionalen Begegnungen machen die Leseerfahrung packend. Sie sind teils romantisch, teils wütend über die Taten der Elterngeneration, teils entschlossen, ebendiese Taten in das Rechtsbewusstsein ihrer Generation zu bringen und Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Denn die Graphic Novel ist nicht nur eine Biografie, die eine bewundernswerte Politisierung einer jungen Frau zeigt, sondern auch ein Dokument über die Zeitgeschichte der jungen Bundesrepublik und ein Lehrstück für Zivilcourage. Die politischen Ereignisse werden nicht trocken in Infokästchen vorgelegt, sondern durch die Bedeutung der Situationen in den Dialogen oder durch kurze Verweise. Die berühmte Ohrfeige markiert nur den „Auftakt“ – wie Beate Klarsfeld selbst in einem Interview am Ende der Geschichte erklärt – der beeindruckenden Aktionen gegen das Vergessen, die Beate und Serge durch Frankreich, Deutschland, Peru und Bolivien führen. Denn die Geschichte der beiden zeigt, dass nicht nur die Jagd und Festnahme Adolf Eichmanns durch Fritz Bauer eine sowohl persönliche wie auch politisch brisante Geschichte darstellt, sondern auch die der beiden Klarsfelds eine unverzichtbare Lehre zur Aufklärung der NS-Verbrechen ist. Als klar wird, dass einige der größten Verbrecher des Nazisregimes sich in Lateinamerika aufhalten und dort (in den damals noch sehr autoritären bis diktatorischen Regimen) Schutz finden, versuchen sie die Gesellschaft aufzurütteln. Sie versuchen juristische Wege zu finden, um die Verbrechen aufzuklären. Da jedoch gerade autoritäre Regime Nazis Unterschlupf boten, sind die juristischen Wege oft internationalen politischen Interessen nachrangig. Serge Klarsfeld sucht nach Beweisen, Belegen und Zeugenaussagen, die eindeutig vor Gericht standhalten würden. Zeitzeugen, die eine Identifizierung der unter falschen Namen umherlaufenden Nazis ermöglichen könnten, bieten uns Einblicke in der grausamen Geschehenisse jüdischer Kinder unter der NS-Besatzung in Frankreich. Die Zeichnungen von Sylvain Dorange, der in Frankreich als Karikaturist, Trickfilmregisseur und Komponist durch „Hedy Lamarr“ und dem in Deutschland noch nicht erschienenen Graphic Novel „Sanseverino est Papillon“ bekannt ist, nehmen uns mit an originalgetreue Orte in ganz Deutschland, in Frankreich, in Peru und Bolivien. Wir lernen so die Geschichte der beiden Hauptprotagonistinnen aber auch die Orte in detaillierter Weise kennen. Die durchweg in schwarz-weiß gehaltenen Rückblenden in die Vergangenheit ermöglichen uns sowohl biographische Einblicke in das Leben und Wirken der Klarsfelds. Das matte Papier (eben auch einen essenziellen Unterschied zum Hochglanz der Superheldencomics) ermöglicht die in schwarz-weiß dargestellten Schreckensereignisse der Nationalsozialisten teilweise auch die Erzählungen einige Zeitzeugnisse düstere Atmosphäre der ansonsten durch farbenfrohe und eindrucksvoll authentische Mimik und Gestik der Zeichnungen der Protagonisten. Autor Pascal Bresson spannt einen beeindruckenden Bogen politischer Kriminalgeschichte durch authentische Dialoge, riskante Aktionen und emotionale Zeitzeugnisse, die durch die originalgetreuen Orte und Personen Erinnerungskultur in Comicform ermöglichen. In einer Zeit, in der das politische Klima sowohl in Frankreich durch Front National wie auch in Deutschland durch rechte Bewegungen der Querdenker und der AfD, die Holocaustrelativierungen salonfähig machen sind Vorbilder wie Beate und Serge Klarsfeld wichtig, um die Gedenk- und Erinnerungskultur lebendig zu halten. Eine Frau, die in Frankreich ihre Geschichte begann und 2012 zur Wahl des Bundespräsidenten kandidierte, inspiriert hoffentlich weitere Generationen, sich in der Gegenwart gegen das Vergessen und für Freiheit und Gerechtigkeit einzusetzen. Diese Graphic Novel tut es.
1. der 2000 auch dem deutschen Publikum bekannt wurde durch Serie „Poulpia, der kleine ökologische Oktopus“ und 2010 die drei Comicserien „L’Affaire Seznec“ (mit Guy Michel), „L’Affaire Dominici“ (mit René Follet) und „Ushuaïa ou les aventures de Nicolas Hulot“ (mit Curd Ridel), für die er den Preis von Vigneux sur Seine erhielt. Seit 2013 erscheinen seine Bücher bei Casterman und Editions Glénat und Humanoid.
BEATE UND SERGE KLARSFELD: Die Nazijäger, Autor: Pascal Bresson, Künstler: Sylvain Dorange, 208 Seiten, Hardcover, 28,00 Euro, Erschienen bei CARLSEN