RUDE GIRL

Im Zeitalter der Globalisierung erscheint uns die Welt offen und zugänglich. Wir können reisen, andere Kulturen und Traditionen kennenlernen und uns diese sogar zu eigen machen. Doch ist es wirklich angebracht andere Kulturen als Kostüm, Frisur oder gar Farbe zu tragen? Das Thema der kulturellen Aneignung ist seit dem Ausladen einer jungen Sängerin mit Dreadlocks bei einer Friday for future Veranstaltung in aller Munde. Was bedeutet der Begriff kulturelle Aneignung? Der Name enthält die Antwort bereits: Eine Aneignung bezeichnet das Übernehmen eines Teils einer Kultur von Personen einer anderen Kultur oder Identität.

Priscilla, ein US-amerikanisches Mädchen mit Wurzeln aus Barbados und Jamaika beschließt gegen alle und alles gleichzeitig zu rebellieren, indem sie sich in ihrer Jugend der Skinhead-Bewegung anschließt und zu einem „Rude Girl“ wird. Ja, die Skinheadszene, denn diese ist in ihren Ursprüngen nicht rechtsradikal, sondern sie kämpft für die Interessen der Arbeiter. Immer wieder eckt sie an und stellt eine Außenseiterin dar, die nie ganz dazu gehört. Für die eigene Familie erfüllt sie zu wenig die Rolle eines karibischen Mädchens, für die schwarzen Mitschüler*innen ist sie nicht schwarz genug. Priscillas Leben ist eine Identitätsreise, die an den Erwartungen der sozialen Schicht, des Geschlechts und der Hautfarbe aneckt. Ihr Weg durch die Subkulturen ist musikalisch und filmisch geprägt. Durch ihre karibischen Wurzeln liebt sie Ska und findet Schnittpunkte zum Punk der Skinheadszene. Erwartungen eines karibischen Frauenbildes, die Röcke tragen sollen, trotzt sie mit T-Shirts und Skateboards.

Die Autorin Birgit Weyhe hat Priscilla Layne ursprünglich für eine Tagesspiegelcomicseite interviewt, aus der nun ein ganzes Buch geworden ist.

Die Zeichnungen des Bandes wirken wie eine geschickte Collage, die im aktiven Dialog zwischen Birgit Weyhe hat Priscilla Layne stetig korrigiert werden. Sowohl die Farbgebung der Protagonist*innen als auch die für die Betroffenen traumatischen familiären Szenen werden kritisch zwischen den beiden diskutiert. Die Umgebungen der Städte und der subkulturellen Szenen werden lebhaft eingefangen und abstrakteren Formen gegenübergestellt, wenn traumatische Erfahrungen in der Schule durch Mobbing oder Missbrauch in der Familie verarbeitet werden.

Ein Comic, der mit wenig theoretischen Umschweifungen nicht nur eine erstklassige biographische Arbeit darstellt, sondern ganz nebenbei eine Einführung in „critical race theory“ geben kann. Priscilla verkörpert das, was die so genannte „triple oppression“ darstellt: Eine Diskriminierung durch „ethnischer Herkunft, Geschlecht und sozialer Schicht“ (Rassismus, Sexismus, Klassismus). Weyhe spielt mit den Möglichkeiten des Mediums Comic, indem sie eine dialogische Biographie schreibt, die sensibel wie unterhaltsam und politisch aufklärerisch ihr eigenes Schaffen und ihre eigene Rolle kritisch mitreflektiert. Wenn der Begriff der Aneignung teilweise belustigt beäugt wird, sodass die Öffentlichkeit bereits warnend von „cancel culture“ spricht, wenn weiße Personen keine „schwarze“ Geschichte erzählen dürfen, kann man hier klar von einer selbstkritisch entwickelnden Form des Comics sprechen, der eine Emanzipationsgeschichte erzählt.

[1] Z.B.: https://taz.de/Kulturelle-Aneignung-bei-FFF-Demo/!5840424/

Leseprobe


RUDE GIRL, Autorin & Künstlerin: Birgit Weyhe, 312 Seiten, Softcover, 26,00 Euro, Erschienen im AVANT VERLAG