Nowhere Men 1 – Schlimmer als der Tod

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Die fiktive, hochtechnisierte Gegenwart von „Nowhere Men“ präsentiert uns Wissenschaftler als Leistungsträger der Popkultur anstatt wild kopulierender Castingshow-Überbleibsel. Das wäre auch durch die Bank begrüßenswert, würde Genie nicht immer auch ein bisschen Wahnsinn mit sich bringen. Und nicht jeder Mann mit großer Macht zeigt auch große Verantwortung. Willkommen in einer Welt voller „Science, Drugs & Rock’n Roll“

Nach ihrem kometenhaften Aufstieg in den sechziger und siebziger Jahren sind die wie Rockstars gefeierten Wissenschaftler der „World Corp“, einer Mischung aus Forschungselite, pseudohumanitärer Stiftung und Boygroup in alle Winde zerstreut. Wer nicht seinen Drogenexzessen oder seinem Stolz zum Opfer gefallen ist verfolgt nun wissenschaftliche und wirtschaftliche Ziele fernab des Wirkungskreises seiner ehemaligen Kollegen.

Die Öffentlichkeit dominieren nun die beiden „Überlebenden“ der Krise, Emerson Strange und der auf mysteriöse Weise kaum gealterte Simon Grimshaw. Nach dem finalen, großen  Streit des einstigen Ensembles verliert sich Strange immer mehr in seinen Forschungen und Vorwürfen. Der gewissenlose Elitefaschist Grimshaw steht hingegen in voller Blüte. Unbeobachtet von den kritischen Blicken seiner Ethik-konformen Kollegen entwickelt dieser ein unberechenbares Virus fort und testet es an ahnungslosen, menschlichen Probanden. Im Glauben ein wissenschaftliches Team und nicht etwa Laborratten im Versuchsaufbau eines wahnsinnigen zu sein verrichten diese „Nowhere Men“ ihren Dienst an Bord der internationalen Raumstation. Die für die Öffentlichkeit eigentlich gar nicht mehr existiert, sondern durch einen Unfall zerstört wurde…

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Ich habe mich versucht in meiner Inhaltsangabe so kurz und kompakt zu fassen, wie nur irgendwie möglich. Aber „Nowhere Men“ ist extrem komplex. Ich würde fast so weit gehen, es stellenweise sperrig und unzugänglich zu nennen. Eine Vielzahl an Charakteren und die undurchsichtige, non-lineare Erzählweise erfordern volle Aufmerksamkeit. Das bedeutet keinesfalls, dass Eric Stephensons beklemmender Wissenschafts-Thriller nicht gut wäre. Aber er fällt nur bedingt unter die Kategorie „Unterhaltung“. Zahlreiche fiktive Artikel aus Wissenschafts- und Musikmagazinen oder Werbeanzeigen zu Produkten der „World Corp“ geben dem Universum der „Nowhere Men“ extrem viel Tiefe und Charakter. Die Anspielungen auf Seitenhiebe auf reale Personen aus Politik und Wirtschaft verleihen der Reihe aus dem amerikanischen Image-Verlag einen willkommenen und dringend nötigen, satirischen Einschlag.

Zeichner Nate Bellegarde erschafft mit Kolorist Jordie Bellaire dabei einen sehr eigenen Look irgendwo zwischen Popart und dem extrem klinischen, digitalen Look den viele Titel von Avatar oder Zenescope an sich haben. Eigentlich bin ich überhaupt kein Freund dieser optischen Inszenierung, aber bei „Nowhere Men“ passt sie inhaltlich wie der Bunsenbrenner unter den Erlenmeyerkolben. Zudem verleiht das Design-Team „Fonografiks“ der Präsentation des Comic selbst, insbesondere aber der Zeitungs- und Werbeanzeigen so unglaublich viel Stil, dass die visuelle Präsentation insgesamt auch objektiv immer eine Klasse für sich bleibt.

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Ich habe unverhältnismäßig lang für die Lektüre von „Nowhere Men“ gebraucht. Dieses Buch bedeutet Arbeit für den Leser. Aber ganz in der Tradtition des ganz offensichtlichen Vorbildes „Watchmen“ von Alan Moore und Dave Gibbons ist diese Arbeit der Schlüssel zu einem sehr tiefen Leseerlebnis, mit vielfältigen Deutungsebenen und sozialkritischen Verweisen auf die harte Realität. Wenn ich von harter Arbeit spreche, dann meine ich damit nicht, dass ich mit einem schweren Vorschlaghammer bei dreißig Grad in einem Steinbruch auf eine Wand einschlage. Es ist mehr als wenn ich tagelang ohne Schlaf ein Meer von Akten auf meinem Schreibtisch sichte und sortiere. Um am Ende diese eine Formel zu finden, die der Schlüssel zu einer großen, wichtigen Erkenntnis ist.

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