Starzeichner Jim Lee persönlich nannte Harley Quinn kürzlich in einem Interview die „vierte Säule“ von DC-Comics. Und das obwohl die erst 1992 von Paul Dini und Bruce Timm für die bis heute von Fans gefeierte Batman-Trickserie entwickelte Figur zu den jüngsten Charakteren der Verlagsgeschichte gehört. Nun spielt die Dame bereits in einer Liga mit altehrwürdigen Urgesteinen wie Superman, Batman oder Wonder Woman. All diese Figuren hatten jeweils mehr als 75 stolze Jahre Zeit, die Herzen der Fans für sich zu gewinnen. Vielleicht ist ihre Popularität auch der Tatsache geschuldet, dass Spaßgranate Harley bereits deutlich mehr Veränderungen und Modernisierungen erfahren hat, als ihre ikonischen und daher oft unantastbaren Kollegen.
Dabei war Doctor Harleen Quinzel ursprünglich eine sehr tragische Figur, wovon man sich bei Bedarf im Klassiker „Mad Love“ überzeugen kann. Die junge Psychologin entwickelt darin eine verhängnisvolle Obsession für den teuflischen Joker. Die Ähnlichkeit zum Verhältnis zwischen Serienkiller Hannibal Lecter und Ermittlerin Clarice Starling ist dabei sicher nicht ganz zufällig, bedenkt man die große Popularität der 1991 erschienenen Roman-Verfilmung „Das Schweigen der Lämmer“. Harleen passt anders als die von Jodie Foster verkörperte FBI-Agentin jedoch nicht nur ihr moralisches Spektrum dem psychotischen Geliebten an, sondern vollzieht eine regelrechte Verwandlung. Sie wird zum weiblichen Gegenstück des Jokers, zur Kalauer klopfenden „Harley Quinn“.
Im schwarz-roten Hofnärrinnen-Overall würde die frischgebackene „Clownprinzessin des Verbrechens“ einfach alles tun, um ihrem „Pupsie“ zu gefallen. Doch der Joker findet deutlich mehr Gefallen an bizarren Verbrechen, als an der Liebe. Seine ganze Aufmerksamkeit und seine wenigen Emotionen gelten stets nur seinem Erzwidersacher, Gothams dunklem Ritter. Batman. Die Eifersucht auf diesen ungewöhnlichen Konkurrenten wird fortan zu Harleys Antrieb. Wenn es ihr gelingt, die Fledermaus unschädlich zu machen, dann wird ihr blasser Traumprinz einfach erkennen müssen, was er an seinem weiblichen Gegenstück hat…
Bereits kurz nach diesen ersten Auftritten innerhalb der Comic-Ergänzungen der „Batman Animated Series“ schaffte Harley selbstredend den Sprung in die eigentliche Kontinuität der DC-Comics. Auch wenn sie dort nie in der Frequenz wie die langjährigen Kontrahenten des Flattermanns auftaucht, oder gar serienübergreifend gleich mehrere Helden im Rahmen eines Events auf Trab hält, war diese Liaison die Basis für viele aufregende Geschichten. Das dunklere und ernstere Umfeld des eigentlichen Comic-Universums bot viel Spielraum, um die tragischen und komischen Aspekte der unorthodoxen Schurkin gegeneinander auszuspielen. Einen gut ausgewählten und mit redaktionellen Texten begleiteten Überblick über die wichtigsten Stationen von „Harley Quinn“ bietet eine kürzlich bei Panini erschienene Anthologie. Anders als die zuvor erschienenen Sammlungen zu Batman und seinem Erzfeind Joker ist diese keinem US-Original nachempfunden, sondern tatsächlich in Deutschland zusammengestellt worden.
Mit DCs verlagsweitem Helden-Reboot „New 52“ im Jahr 2011 erfuhr Harley Quinn ihre bislang radikalste Überarbeitung. Offensichtlich stark inspiriert von Marvels cartoonigem Meta-Antihelden „Deadpool“ versucht Harley fortan innerhalb ihres eigenen, stark verzerrten Wertesystems als Heldin zu operieren und hat ihre Besessenheit vom Joker weitestgehend hinter sich lassen können. Als eine der wenigen Serien, die sich außerhalb der strikten Verlagskontinuität bewegen dürfen, strapaziert die neue Harley vor allem die Lachmuskeln ihrer Leser und verschont die Tränendrüsen dabei weitestgehend. Wenn der verschmitzt grinsende Wirbelwind das Verlagsgebäude von DC während einer Redaktionskonferenz mit einem Fäkalkatapult unter Beschuss nimmt, hilft ein wenig Insiderwissen aber durchaus dabei, alle Aspekte des sehr nerdigen Humors zu begreifen.
Ob in ihrer eigenen Hauptserie oder im Duett mit Power Girl – Harley Quinn steht inzwischen für Chaos, augenzwinkernde Gewalt und zotigen, erwachsenen Humor. Auch wenn konservative Fans der Trickserien-Harley und den tiefsinnigeren Tagen von „Mad Love“ nachtrauern, gibt der Erfolg dem Konzept uneingeschränkt recht. Keine weibliche Figur wird wohl häufiger von Cosplayerinnen nachempfunden und auch die wahnwitzige Bandbreite an Merchandise-Artikeln zeigt ganz deutlich, wie hoch die zierliche Femme Fatale in der Gunst der Fans steht. Man darf gespannt sein, was ihr Kinodebüt im Rahmen der „Suicide Squad“-Verfilmung ihr noch an zusätzlicher Popularität einbringen wird.