Der schottische Autor Mark Millar ist zum gefeierten Star der internationalen Comiclandschaft avanciert. Er feiert Erfolge mit großen, später sehr frei verfilmten Lizenz-Epen wie „Civil War“ oder „Old Man Logan“ und mit Eigenkreationen wie der überdrehten Bond-Hommage „Kingsman – Secret Service“. Der Großteil seines Werks zelebriert die Liebe zu Popkultur-Archetypen ebenso leidenschaftlich wie die ihnen innenwohnende, grotesk überzogene Gewalt. Im Mittelpunkt der gleichermaßen kritisierten wie gefeierten Action-Exzesse thront die Capeträger-Persiflage „Kick-Ass“, die es bereits auf zwei Hollywood-Verfilmungen gebracht hat.
Bislang gab es drei abgeschlossene Miniserien rund um den Teenager, den blanke Langeweile in die kostümierte Selbstjustiz drängt. Den abgeschlossenen Ableger „Hit-Girl“ fertigte Millar gemeinsam mit John Romita Jr., seinem „Kick-Ass“-Zeichner. Aktuell schreiben Erzähler-Schwergewichte wie der kanadische Comic-Autor Jeff Lemire oder Hollywood-Regisseur Kevin Smith die Szenarien für das niedliche Mädchen mit den todbringenden Nahkampffähigkeiten.
In seiner neuen „Kick-Ass“-Reihe behält Millar Titel und Kostüm seiner Gallionsfigur zwar bei, erfindet sie aber dennoch völlig neu. Denn Patience Lee ist als Mutter und US-Soldatin weit von jeder Langeweile entfernt. Bei ihrer lang ersehnten Rückkehr von der Front in Afghanistan erwartet die Afroamerikanerin eine böse Überraschung. Ihr Ehemann hat seine Familie sitzen lassen, um mit einer jüngeren Frau seinen großen und erfolglosen Traum vom Musikbusiness zu verfolgen. Trotz mehrerer Jobs und anstrengender Nachtschichten als Kellnerin in ihrem von Gangs dominiertem Viertel gelingt es ihr kaum, finanziell für ihre Familie zu sorgen. Nur einen einzigen Einbruch bei den schweren Jungs aus der Nachbarschaft will sie begehen, um die gröbsten Schulden ihres Mannes zu tilgen und bedürftigen Menschen im Viertel zu helfen, aber gerät dabei in einen Sog eskalierender Gewalt. Erneut glänzt Romita Jr., Sohn des legendären Spider-Man-Zeichners mit seiner unnachahmlichen Kombination aus schroffem Indiestrich und cartoonigen Proportionsverzerrungen. Anders als in der Ursprungsserie dient diese eigenwillige Optik aber nicht länger dazu, den anarchischen Humor zu unterstreichen. Die neue Kick-Ass ist düsterer und deutlich ernster. Und sie ist ein rotes Tuch für alle rechtskonservativen Comic-Leser der USA. Denn obwohl Patience Patriotin und Soldatin ist, obwohl sie kurzen Prozess mit Drogendealern und Gangstern macht bekennt sie sich auch klar gegen Trumps rassistisch „MAGA“-Kampagne. Genau hier versteckt sich nämlich der Humor in der Neuinterpretation der Reihe, einer spannenden, politisch bewusst völlig inkorrekten Hommage an das Rachekino der Siebziger.
Dieser Text erschien zuerst im Tagesspiegel.
KICK-ASS: Frauenpower
Autor: Mark Millar
Künstler: John Romita Jr.
164 Seiten
Softcover
20,00 Euro
Erschienen bei PANINI