WARREN ELLIS: Das APPARAT-Universum (Teil 1)

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Kein Genre, keine Erzählströmung hat wohl einen derart großen Einfluss auf die Comic-Landschaft gehabt wie die Superhelden-Stories, die mit dem goldenen Zeitalter des Mediums auch endgültig im Mainstream ankamen. Davor dominierten sogenannte Pulp-Szenarien die Sprechblasen-Landschaft, bei denen klassische Abenteuergeschichten, Kriminalfälle, archäologische Sensationen, vor allem aber jede Menge Sex und Crime wichtige Rollen spielten. Mit seinem „Apparat“-Universum stellt Kultautor Warren Ellis nun die Frage, wie Comics heute wohl aussähen, wäre die große Einflussname der Capeträger ausgeblieben, wäre die Pulp-Ästhetik auch heute noch das Maß der Dinge in der neunten Kunst. Nicht zuletzt mit „Transmetropolitan“ hat der streitbare Brite bewiesen, dass er es hervorragend versteht, vermeintlich abgeschmackte Genre-Standards mit einer unglaublichen Menge scharfsinnigem, zynisch-bitterem Witz und selbstredend seiner kompromisslos asozialen Punk-Rock-Attitüde zu würzen. Ellis verspricht Underground-Eskalation mit intelligentem Unterbau. Klappt das auch in den ersten beiden „Apparat“-Bänden?

Bedingt durch die recht kurze, aber auch dem Pulp-Thema geschuldeten Erzähldauer der einzelnen Episoden und den ständig wechselnden Künstlern schwanken die Ergebnisse stilistisch extrem stark. Ein versoffener, völlig heruntergekommener Ermittler, eine gedopte Superdetektivin, eine gescheiterte Kampfpilotin und eine augesprochen knapp bekleidete, wehrhafte Endzeit-Ärztin bilden das schwindelerregend wilde Ensemble des „Vier Singles“-Bandes, bei dem Ellis ähnlich einem Punkrock-Sampler fiktive Auszüge aus fiktiven Serien präsentiert, um einen großen, umfassenden Eindruck seines tatsächlich gar nicht so umfangreich wie behauptet ausgearbeitetem Pulp-Universum zu vermitteln. Dieser Kunstgriff funktioniert sehr gut, hätte aber noch schön durch ebenfalls fiktives, redaktionelles Material stimmungsvoll ergänzt werden können. Ein Versäumnis, dass aber dem Autoren und nicht etwa Josch vom „Dantes Verlag“ anzukreiden ist, der seine Übersetzungen gern möglichst eng am Original hält und sprachliche Übersetzungen dankenswerter und professioneller Weise eigentlich nur durch Erläuterungen in Fußnoten unterstützt. Das klappt gewohnt gut, lediglich die wortwörtliche Übersetzung von „Angel stomps future“ in „Angel trampelt Zukunft“ mag bewusst gewählt sein, um die trashige Atmosphäre zu unterstützen, klingt aber leider dennoch wie Fingernägel auf einer nassen Schultafel. Ellis selbst hätte durch fiktive Leserbriefe, Werbeanzeigen und ähnliche Meta-Botschaften Illusion und Stimmung einfach toll ergänzen können.

Dennoch liefern alle vier Stories tolle Momentaufnahmen und begeistern mit grundverschiedenen, lebendigen Undergroundstilistiken, wobei die von „Providence“-Künstler Burrows illustrierte Story rund um Junkie-Ermittler „Simon Spector“ das offensichtliche, visuelle Highlight ist. Wem der Titel bekannt vorkommt: Genau, das gab es auch als Einzelheft zum „Gratis Comic Tag“.

Bereits der selbst verliehene Untertitel „Eine graphisches Novelle“ kündigt an, dass „Äthermechanik“ deutlich schwerere Geschütze auffahren will. Inhaltlich ganz klar als unterhaltsame aber verhätnismäßig unspektakuläre „Holmes und Watson“-Steampunk-Variante zusammenzufassen, lassen der italienische Künstler Gianluca Pagliarani und Tuscher Chris Dreier den großen Namen ihres Autoren weit hinter sich. Wie man mit einem derartigen Talent und so eindrucksvollen, detailverliebten, komplexen und stimmungsvollen Bildern noch nicht weltbekannt sein kann, das ist schon ein kleiner Skandal. Allein für die wirklich eindrucksvollen Splashpages lohnt sich „Äthermechanik“ ohne Wenn und Aber.

In jedem Fall darf man nun gespannt sein, wie die beiden weiteren, bereits angekündigten Bände den Eindruck der „Apparat“-Welt komplettieren. Wer seine Comics deftig, aber mit stilvollem, augenzwinkerndem Kern mag ist hier sicher gut aufgehoben!


Vier Singles, Autor: Waren Ellis, Künstler: Jacen Burrows, Laurenn McCubbin, Carla Speed McNeil, Juan José Ryp, 124 Seiten, Softcover, 14,00 Euro, Erschienen bei DANTES VERLAG